Orthodoxes Mönchtum

Das orthodoxe Mönchtum
von Altvater Johannes von Buchhagen

Geschichte

Seit den Anfängen der Christenheit gab es immer wieder Einzelne, die von der Liebe Gottes erfüllt waren und in vollkommener Hingabe ihr Leben dem Heiligen und Ewigen weihten. In allen Hochkulturen der Erde spielt das Mönchtum eine zentrale Rolle für das religiöse und geistige Leben der Gesellschaft. Die Bibel berichtet von dem Propheten Elias, seinem Schüler Elisäos und den Prophetenjüngern, man weiß von den geheimnisvollen Essenern, mit deren Kreisen man den Propheten Johannes den Täufer und sogar Jesus selbst in Verbindung bringt.

Urbild des orthodoxen Mönchtums ist der Evangelist Johannes, der Apostel der Weisheit und der mystischen Gottesliebe. Sein Evangelium, seine Briefe und die geheime Offenbarung zeugen von seiner höchsten Einweihung und visionären Kraft. Eine der ersten historisch greifbaren Mönchsgestalten ist der heilige Antonios der Große (250-356 n.Chr.). Er folgte als junger Mann der Aufforderung des Evangeliums, verließ seine nicht unwesentlichen Reichtümer und zog zu einem Altvater, einem Eremiten, wie sie zu jener Zeit etliche in der Wüste zwischen dem Nil und dem Roten Meer lebten. Nachdem er in reifen Jahren längere Zeit allein in einer entlegenen Grabanlage gehaust hatte ohne verrückt zu werden, wurde er einer der berühmtesten Altväter Ägyptens. Bekannt wurde er durch seine Lebensgeschichte, die der damalige Bischof von Alexandrien, Athanasios verfaßte.

Als im 4. Jahrhundert die Verfolgung der Kirche beendet und das Christentum langsam zur Staatsreligion wurde, war das Mönchtum bereits eine große Bewegung geworden. Und als die Kirche durch ihre unvorstellbar wachsende Macht in Gefahr geriet, selbst zu verweltlichen, war es vor allem das Mönchtum, das den Geist des Ursprungs und den mystischen Weg der Wandlung bewahrte, den Christus seine Jünger gelehrt hatte.

Mit großer Begeisterung berichtet der heilige Kirchenvater Basileios der Große (329-378 n.Chr.) in seinen Schriften über das Mönchtum seiner Zeit. Es beeindruckt ihn, daß die Mönchsgemeinschaft Menschen verschiedenster Herkunft oder Bildung in vollkommener heiliger Liebe miteinander verbindet, er rühmt die Einmütigkeit, die wahre Freiheit und Herzensreinheit, die er in den Klöstern beobachtete.

Von überragender Bedeutung ist der heilige Kirchenlehrer Gregor Palamas. Er war in allen weltlichen und geistlichen Wissenschaften hochgebildet, als er im 14. Jahrhundert auf Athos Mönch wurde. Wegen seiner besonderen Fähigkeiten wurde er später zum Erzbischof von Saloniki gewählt. Dort reflektiert und verteidigt er in den geistigen Auseinandersetzungen mit der westlichen Scholastik die mystische Praxis des orthodoxen Mönchtums. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, daß im Bereich der orthodoxen Christenheit Mystik und Theologie keine Gegensätze wurden und daß das orthodoxe Mönchtum seinen autonomen, prophetischen und charismatischen Charakter bewahren konnte. In dem Zusammenhang formulierte er die Lehre von den göttlichen Energien, deren Übereinstimmung mit der urkirchlichen Überlieferung auf den Konzilien von 1351 und 1352 in Konstantinopel bestätigt wurde.

Während im 18. Jahrhundert im Westen die Ideologie der Aufklärung zu totalitärer Säkularisierung und Materialismus führte, erkannten der hl. Paissios von Neamtz und seine zahlreichen Schüler die darin verborgene Geistfeindlichkeit und stärkten, von der lebendigen Überlieferung des Heiligen Berges Athos her, in Rumänien und Rußland das Mönchtum in seiner ursprünglichen geistigen Weite und Ganzheit und bewahrten so die Orthodoxie vor dem Absinken in Rationalismus und Emotionalismus.

Seit den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt das orthodoxe Mönchtum in Osteuropa und Asien insgesamt eine neue Blüte. Auf dem Heiligen Berg Athos lebte, um nur ein Beispiel zu nennen, Josef der Hesychast als Altvater, dessen Schüler heute als Altväter und Äbte auf Athos und in der ganzen Welt wirken. Altvater Efraim hat allein in den USA innerhalb von 20 Jahren 15 Klöster gegründet.

Diese und andere berühmte Mönchsvätergestalten sind nur die geschichtlich greifbaren Glanzpunkte einer unendlich weiteren geistigen Bruderschaft. Die meisten orthodoxen Mönche und Altväter wirken im Stillen. Sie fliehen alle äußeren Würden und Ämter; viele verweigern die Weihe zum Priester und manche vermeiden sogar, daß ihr Name bekannt wird. Unter ihnen sind begnadete Künstler, Architekten, Gartenbauer, Musiker, hochintelligente wie einfache Menschen. In der bezaubernden Schönheit mancher Klosteranlagen und in der geistigen Kultur hinterlassen sie ihre unauslöschlichen Spuren.

Das Mönchtum des Heiligen Berges

Eines der wichtigsten Zentren des orthodoxen Mönchtums ist heute der Heilige Berg Athos. Das mönchische Leben dort reicht bis in die Anfänge der Christenheit zurück. Archäologische Grabungen brachten jüngst unter der Hauptkirche von Watopädi die Fundamente eines stattlichen Vorgängerbaus aus der Zeit des Kaisers Theodosios (4. Jh.) zu Tage. Bis ins 9. Jahrhundert lebten die Mönche des Heiligen Berges vollkommen zurückgezogen in relativ kleinen Gemeinschaften oder als Einsiedler. Daher sind schriftliche Nachrichten spärlich. Erst der heilige Athanasios der Athonite gründete ein Großkloster nach dem Vorbild des Studionklosters in Konstantinopel und des Sabbasklosters in Jerusalem. Schließlich, im Jahre 962 n. Chr. wurde der Heilige Berg autonomer Mönchsstaat mit eigener Verfassung. Diese garantiert die Freiheit, politische und kirchliche Autonomie, und die Vielfalt der mönchischen Lebensformen. Athos ist somit die älteste heute noch bestehende Republik der Welt.

Bis heute findet man auf Athos alle Formen des frühen Mönchtums beieinander: Einsiedler, die in den Bergen in versteckten Waldhütten und Höhlen hausen, Kellienmönche, die zu zweit oder dritt unter Leitung eines Altvaters auf größeren Gehöften (kleineren Klöstern) leben, bis hin zu den Großklöstern mit 20 bis 100 Mönche und mehr. Es gibt 20 „kaiserliche und patriarchale Erzabteien“, denen jeweils ein Bezirk des Mönchsstaates untersteht und dem die Kleinklöster, Einsiedeleien und Mönchsdörfer zugehören. Die Klöster konnten in der Geschichte auf eine eigene Klausur verzichten, weil das ganze Land eine einzige große Klausur ist. Bis in die 70-er Jahre des 20. Jh. war es sehr aufwendig, zum Heiligen Berg zu gelangen. Erst die moderne Entwicklung mit ihren bequemen Reisemöglichkeiten und den vielen hunderten von Pilgern, die täglich auf den Heiligen Berg strömen, macht es neuerdings notwendig, die mönchische Zurückgezogenheit auf andere Weise zu schützen.

Athos war und ist vor allem ein Hort lebendiger christlicher Mystik. Die orthodoxen Mönche besitzen eine uralte geistige Überlieferung, die in der christlichen Welt einzigartig ist. Man bezeichnet die Athos-Mystik als Hesychasmus, von "Hesychia", Stille, Ruhe. Hier versteht man unter „Theologie“ nicht ein akademisches Buchwissen, sondern die tatsächliche Wandlung des Herzens, jenes unsagbare innere Begreifen und Ergriffenwerden, das mit der Gottesberührung einhergeht. Ein wahrer Theologe ist demnach nicht einer, der akademische Studienabschlüsse vorweist, sondern einer, der den Logos, das Ewige Wort Gottes im Herzen trägt. In diesem Sinne ist Theologe gleichbedeutend mit Geist-Träger, Christus-Träger, Heiliger. „Theologie“ in diesem Sinne ist im Wesen: gelebte Mystik.

Das Mönchtum des Heiligen Berges ist keine bloße Lebensform, kein „reguliertes Leben“, das man aus Büchern oder nach entsprechenden Vorschriften einfach einrichten könnte, sondern besteht wesentlich in der Weitergabe jenes nur durch lebende Menschen vermittelbaren Überlieferungsstromes. Dieser wird auch als „der lebendige Gnadenstrom“ bezeichnet.

Vom Heiligen Berg Athos gingen im Laufe der Geschichte zahlreiche Klostergründungen in anderen Ländern aus. Diese vollzogen sich stets spontan, vom Heiligen Geist geführt. Es gab nie den Versuch überregionale Verbände (wie die Orden der westlichen Kirche) zu schaffen. Die Verbindung einer neuen Gründung zum Athos ist nicht organisatorischer oder juristischer, sondern rein geistiger Natur und immer personenbezogen. Sie besteht durch die Weitergabe der heiligen Überlieferung und durch die Verbindungslinien der Altväter, die gewissermaßen geistige Dynastien bilden, die oft jahrhunderteweit zurückzuverfolgen sind. Wenn ein Mönch im großen S’chima berufen ist und den Segen seines Altvaters erhält, was selten genug vorkommt, geht er und baut ein neues Kloster auf. So wird der Same des Mönchtums des Heiligen Berges weitergetragen. Wo sich dann vor Ort junge Menschen einfinden und den Samen aufnehmen, blüht die heilige Pflanze auf und eine neue Mönchstradition entsteht.

Oft trugen diese Gründungen zur spirituellen Erneuerung und Belebung der Kirchen in der Welt bei, und sie waren Pflanzstätten des Mönchtums vieler Völker. So ist auch das Dreifaltigkeitskloster in Buchhagen nur ein Glied in einer langen Kette, die sich über viele Jahrhunderte, Länder und Völker zieht.

Heilige Gefolgschaft

Jedes orthodoxe Kloster bildet eine eigene Mönchsfamilie, eine Heilige Gefolgschaft. Die Mönchsgelübde und der Gehorsam des Einzelnen beziehen sich nicht auf Ämter oder Institutionen, auch nicht auf den Ort, sondern stets auf konkrete Menschen. Wenn der Altvater beschließen sollte, aus geistlichen Gründen den Ort zu wechseln, folgt ihm die ganze Bruderschaft. Die Gemeinschaft gibt dem Einzelnen Sicherheit und Geborgenheit, umgekehrt trägt jeder Einzelne die Gemeinschaft und das Kloster in Treue und heiligem Gehorsam.

Der Altvater ist das Haupt der Klostergemeinschaft. Im Altvater sieht der Mönch die Gegenwart Gottes; der Altvater ist, nach einem Wort des Altvaters Josef von Watopädi, „Bild und Ort des Ewigen Wortes Gottes“, oder auch „Ort und Art Gottes“. Das bedeutet, daß Christus, der fleischgewordene Gott, im Altvater konkret wird und einen Platz in der Lebenswirklichkeit gewinnt. Dabei stellt sich der Altvater nicht an die Stelle Gottes, vielmehr „leiht er Gott seinen Leib“, gibt er Gott durch seine Hingabe, Liebe und Heiligung einen konkreten „Ort“ in der Welt. In diesem Sinne sagte Paulus : „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir“. Und in den Psalmen heißt es, daß Gott „in Seinen Heiligen ruht“ oder „in Seinen Heiligen gegenwärtig“ ist. Der Altvater ist eine lebende Ikone Christi. Altvater Efraim von Katunakia sagte : „Du hast Deinen Altvater erfreut? wahrlich ich sage Dir, Du hast Gott erfreut.“ Die Haltung der Liebe, des Dienens, der Empfänglichkeit für die heilige Unterweisung, Ehrerbietung und Demut, Hingabe und persönliche Treue, machen den echten geistlichen Schüler aus. In der Vollendung dieser Haltung im Leben aber erwächst wiederum geistige Vaterschaft.

Mysterium des S’chima – Geheimnis der Gestalt

Jeder Altvater des Heiligen Berges hat die Erfahrung und die Weihe der Großen Heiligen Engelgleichen Gestalt (), und niemand kann diese Weihe spenden außer einem Altvater, der sie seinerseits von seinem Altvater empfangen hat. Und ohne diese Weihe kann niemand geistlicher Vater für Mönche oder Vorsteher eines Klosters werden – so ist die alte Überlieferung. Außerhalb des Heiligen Berges ist dieser Zusammenhang mitunter aufgelöst worden, oft zum Schaden des Mönchtums.

Es ist von Gott her bei allen Altvätern ein und dasselbe Heilige S’chima, und doch hat jede Mönchsfamilie ihre Besonderheit, ihr unverwechselbares Gesicht. Das orthodoxe Mönchtum ist nicht uniform, sondern bringt vielmehr eine Fülle lebendiger Gestalten hervor, so wie keine Eiche der anderen völlig gleicht, aber doch alle Eichen nach Art und Gattung eins sind. Dieses Prinzip ist auch innerhalb der einzelnen Mönchsgemeinschaft grundlegend. Jeder Mensch ist unterschiedlich, und wir wollen keine Standardisierung. Vielmehr soll das göttliche Urbild im Menschen aufblühen und der Mensch zu der ihm ureigensten Gestalt heranreifen. Gerade in der Unterschiedlichkeit der Charaktere können sich die Väter einer Gefolgschaft wunderbar ergänzen. Die Gefolgschaft ist sehr viel mehr als nur die Summe der Einzelnen. Gemeinschaft wird zu einer eigenen organischen Größe, deren einende Kraft die göttliche Liebe und die Hingabe an Christus und untereinander ist. So bildet das Kloster eine vollkommene Kirche im Kleinen.

Was ist das Geheimnis des mönchischen S’chima? Worin besteht in aller Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten das allen gemeinsame, heiligende Mysterium?

In der Bibel im Buche Genesis heißt es: „Gott schuf den Menschen als Sein Ebenbild (kat eikonan) und Ihm zur Ähnlichkeit (kat omoiosin)“. Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes. Die Ähnlichkeit (mit dem ewigen Urbilde, letztlich mit Gott) aber müssen wir im Laufe unseres Erdenlebens erst erwerben und verwirklichen, und zwar in der jeweils ureigensten Gestalt, gemäß der inneren Notwendigkeit. In dem Maße, wie dies gelingt –was einzig durch die göttliche Gnade möglich ist– in dem Maße wird der Mensch heilig. Diese geistige Anthropologie unterscheidet sich sowohl von der modernen westlichen Vorstellung von Individualität als auch von der östlichen Vorstellung der Entpersönlichung. Im traditionalen Mönchtum wird die Persönlichkeit nicht ausgelöscht, sondern gewandelt und in der Transzendenz verankert – der Transzendenz, die schon in uns angelegt ist. Das Wesen des Menschen, wie es von Gott gemeint ist, wird gereinigt von allen Umlagerungen des Äußeren, Zufälligen, Bedingten; das Eigentliche, der geistige Kern, tritt hervor und erlangt die Herrschaft über die äußeren und unteren Aspekte. So wächst die geistige Gestalt, die ursprüngliche Schönheit des göttlichen Bildes im einzelnen Menschen heran. Je weiter diese Gestaltwerdung voranschreitet, umso mehr tritt die das nur Irdische überschreitende göttliche Wirklichkeit durch den Menschen und in ihm ins Leben hinein, wird erfahrbar. Darum heißt es: „Gott tritt uns in Seinen Heiligen entgegen“. Wo der Mensch dies erlangt, wo er das in ihn gelegte göttliche Urbild entfaltet und verwirklicht, gewinnt er die „vollkommene und ureigenste Wesensgestalt“. Das ist das Geheimnis des Heiligen S’chima, der Heiligen Gestalt.

Die orthodoxe Anthropologie hat ein tiefes Wissen und sehr klare Begriffe von den Kräften und Gegebenheiten, die das herausbilden, was wir auf deutsch „Gestalt“ oder latinisierend „Persönlichkeit“ (gr.: Hypostasis) nennen. Dies hier dazustellen sprengte den Rahmen dieser skizzenartigen Einführung. Das Geheimnis des Mönchtums ist jedenfalls im Kern das Mysterium Gottes selbst. Der mystische Weg vereint die Gegensätze: Gehorsam und Willenskraft, Weisheit und Kindlichkeit, Einfachheit und Tiefe, Demut und Würde, Eifer und Gelassenheit, Einsamkeit und Gemeinschaft, Männlichkeit und Weiblichkeit, Bindung und Freiheit, Größe und Niedrigkeit ...

Askese und Freiheit

Die nur sogenannten Gnostiker (Erkennende, Wissende) lehren, daß Geist und Körper einander feindlich gegenüber stünden. Die wahre Gnosis (Erkenntnis) aber, wie sie sich in der orthodoxen christlichen Erfahrung herausbildet, lehrt, daß der Leib kein Feind der Seele, sondern ihr treuer Diener ist – sofern nur die Hierarchie der Dinge, die innere Herrschaft, recht geordnet ist. Die körperliche, sinnliche Welt kann Spiegel der geistigen sein. Deshalb wird in die mönchische Askese alles Leibliche wohl einbezogen, nicht aber verworfen oder grundsätzlich verneint. Es gibt kaum einen sinnlicheren und zugleich geistigeren, überweltlicheren Gottesdienst als den in einem orthodoxen Kloster. Die orthodoxe Asketik beruht wie die ganze Kirche auf dem Mysterium der Fleischwerdung Gottes und zielt auf die Erneuerung und Heiligung des Lebens.

Die Verfälschungen des Lebens aber, die gefallene Welt und ihr Trug, werden umso entschiedener abgetan. Daher bestehen die ersten geistigen Übungen in der Überwindung des Irrtums und in der Beherrschung der Leidenschaften, die uns beide gleichermaßen an die gefallene Welt ketten. Orthodoxie erhält von diesem asketischen Ansatz her eine weit über bloßes Bekenntnis und religiöse und nationale Identität hinausgehende Dimension. Erst wenn aller Trug und aller geistiger Irrtum überwunden ist, leuchtet Orthodoxie auf. Daher ist für den Mönch die Orthodoxie sehr viel mehr als eine äußere Kirchenzugehörigkeit. Sie ist die Übereinstimmung des Lebens, Glaubens und Strebens mit der ewigen Wahrheit, des iridschen Seins mit den Gedanken Gottes, die vollkommene Harmonie mit Gott, dem Urgrund des Seins – ja eigentlich der unmittelbare Glanz Gottes, wie ja das Wort auch sagt. Das griechische Doxa bedeutet in unserem Zusammenhang nicht „Meinung“, wie im Sprachgebrauch der altgriechischen Philosophie, sondern vielmehr „Glanz, Ehre, Schönheit“. Orthos meint hier: „aufrecht, gerade, klar, hell“. Daher bedeutet orthodox eigentlich nicht in erster Linie „rechtgläubig“ (im Sinne einer konfessionellen Einordnung), sondern vielmehr: „recht ehrend“ bzw. „vom unmittelbaren Glanz Gottes durchlichtet“. Wer den Glanz von Gott empfängtund also geistig erwacht, reinigt auch Gemüt und Gedanken. Und weil er das Eigentliche, den Glanz von Gott, sieht und spürt im Herzen, weiß er um die Bedingtheit aller nur gedanklichen, rationalen Vorstellungen und aller nur gefühlsmäßigen, emotionalen Empfindsamkeit. Weil er das Urbild kennt, weiß er Wert und Bedeutung der Abbilder zu unterscheiden. So ist er durch das Licht Gottes selbst vom Irrtum gefeit.

Eines Tages kamen Studenten in die Wüste und wollten einen der Altväter auf die Probe stellen. Sie sprachen „Bist Du Agathon, von dem wir hörten, Du seiest ein Buhler und stolzer Mensch?“ Er aber antwortete : „Ja, ich bins.“ „Du bist Agathon, der Schwätzer, der Fresser und Säufer?“, und wiederum antwortete er: „Ja, ich bins.“ Dann sagten sie: „Bist Du Agathon der Irrlehrer?“ Da antwortete er: „Nein, ich bin kein Irrlehrer, sondern rechtehrend.“ Da baten sie ihn verwundert und frugen „Wie sollen wir das verstehen? Die größten Unverschämtheiten haben wir Dir gesagt, und Du verleugnetest Dich selbst und nahmst sie hin; die letzte Anklage aber lässest Du nicht auf Dir ruhen?“ Da erklärte er ihnen: „Irrlehre, geistiger Irrtum, das ist Trennung von Gott, denn Gott ist Wahrheit. Ich will aber auch nicht im Geringsten von Gott getrennt sein.“ Als die Studenten das hörten, gingen sie, gleichermaßen beschämt wie erbaut, von ihm.

Die „normale“ Welt ist durch die Trennung von Gott gefallen, in einem existentiellen Sinne. Mancher kennt das Empfinden, daß dieses normale Leben nicht das Eigentliche sein kann. Während ein junger Mensch noch die Fälschungen des Lebens heftig empfindet, gehen die meisten bald dazu über, zu verdrängen, sich zu betäuben und irgendwie „mitzumachen“. Oft ist es indirekter Zwang, oder Angst ein Außenseiter zu werden, die Angst, Liebe und Anerkennung von Freunden oder allgemein der Gesellschaft zu verlieren. Meist ist es einfach Unwissenheit, der Mangel an glaubwürdigen Alternativen. Immer aber ist es eine gefährliche geistige Schwäche. Der „Fürst dieser Welt“ will nicht, daß wir aufwachen und Wahrheit erkennen. Manche echte Berufung wird unter dem Druck der „Normalität“ abgeblockt; Werbung, Filme, Medien, die Mechanismen der Abhängigkeit und des Konsums, kurz, alle möglichen weltlichen Beeinflussungen tun das Übrige, um unser innerstes Empfinden auf Dauer zu ruinieren. Für den Mönch ist es daher unbedingt notwendig, den Trug der gefallenen Welt zu durchschauen und gleichzeitig die Verbindung zur Ewigkeit, zu Gott und Seinen Heiligen zu stärken.

Weil wir in diese Welt der Fälschungen und Täuschungen hineingeboren werden und die Last der Trennung, des grundsätzlichen Fremdseins, die „Schuld Adams“, die Schuld unserer Väter, ungefragt erben müssen, spricht die Überlieferung von „Erbsünde“. Dieses entfremdete Leben mit seinen scheinbaren Vergnügungen und Notwendigkeiten fälscht weiterhin unsere lebendigen Beziehungen untereinander, verhindert die Erkenntnis Gottes und macht die Entfaltung des inneren Menschen zur Verwirklichung seines ewigen göttlichen Urbildes fast unmöglich – jedenfalls aus eigener Kraft.

All diese „Uneigentlichkeiten“ nennen wir „Fesseln der Fleischlichkeit“. Das Wesen dieser Fesseln der Fleischlichkeit ist der Trug; Trug aber ist ein geistiges Prinzip. Deshalb heißt es im Evangelium, daß alle Sünde vergeben werden kann, einzig die Sünde wider den Geist kann nicht vergeben werden, denn der Geist Gottes ist Licht und Wahrheit und Reinheit. Der Trug ist dem Geist Gottes zuwider, es ist der Geist des Antichristen.

Diesem Verrat an Liebe und Wahrheit, den Fälschungen des Lebens, erteilt der Mönch eine klare Absage. Die Einsicht, daß es kein wahres Leben im Falschen geben kann, ist ein wesentliches Motiv der mönchischen Berufung. Doch führt sie nicht zur Verzweiflung, Ekel oder Hass, wie im Existentialismus oder Nihilismus, sondern zu einem existentiellen Durchstoß, der die Bedingtheiten menschlichen Denkens und menschlicher Vorstellungen aufbricht. Die Suche nach dem Eigentlichen stößt zum Mysterium des Lebens selbst vor, wo es mit dem Mysterium Gottes zusammenfällt.

Die praktischen Fragen: Wie den Fälschungen entraten? Wie Liebe und Wahrheit verwirklichen?, werden pragmatisch beantwortet. Eine erste Antwort ist: Freiheit. Je unabhängiger von allem Trug und Irrtum, Konsum- und Karrieredenken, äußerlichen Normierungen, von allem, wenn nicht Falschen so doch Vorläufigen und Uneigentlichen, umso größer wird die Chance, zur Wahrheit und zum eigentlichen Sein vorzustoßen. Hier setzt die negative Askese an, die auf Reduzierung der äußeren Bedürfnisse und Abnabelung von alten Abhängigkeiten und Festlegungen zielt. Um den Trug nachhaltig zu brechen und das Urbild zu entfalten gibt es indes keine stärkeren Werkzeuge als Liebe und Gehorsam. In der traditionalen geistigen Schulung des Athos werden daher Gehorsam und Liebe als Grundpfeiler des mystischen Weges schlechthin angesehen. Eine zweite Antwort ergibt sich aus der Erfahrung einer in der Wahrheit Gottes verankerten Schönheit. Nicht von ungefähr ist das Schaffen sakraler Kunst im orthodoxen Mönchtum sehr verbreitet. Hier beginnt der Bereich der positiven Askese. Eine dritte Antwort schließlich liegt in der brüderlichen Liebesgemeinschaft, der Haltung des Dienens und der Achtsamkeit, in menschlicher Freundschaft, Liebe und Treue. Auch der Gesang, das Ritual und die liturgischen Gestaltung des gesamten Lebensumfeldes gehören zur positiven Askese, die auf die Läuterung aller Aspekte des Daseins und ihre Durchlichtung mit dem göttlichen Sein zielt.

Empfängnis und Wandlung

Beide, die negative und die positive Askese, setzen ein Drittes voraus, wenn sie nicht letztlich doch wieder bloß zu innerweltlichen Arrangierungen geraten sollen. Dieses Dritte ist jener geheimnisvolle „Tüttel“ im Gesetz, der auf keinen Fall entfernt werden darf (Matth. V, 18; Luk. XVI, 17); der Hauch von Gott her, der Einstrom des Gottesgeistes. Ihn erfahren wir in der praktischen Einübung des geistigen Betens. Geistiges Gebet ist nicht Bitte um irgendetwas, auch nicht Fürbitte, sondern reine, „zweckfreie“ Anbetung im Antlitz Gottes. Es geht um geistige Empfängnisbereitschft, jenseits von Denken und Gefühlsbewegung. Im Augenblick vollendeter Reinheit erkennen sich die göttliche Liebe und Weisheit im Spiegel des menschlichen Geistes. Die Einübung dieser Haltung bildet die Grundlage des Hesychasmus. Von dieser Haltung her gewinnt das Leben und alles Tun und Lassen seine Verankerung in der Ewigkeit. Und erst durch diese jenseitige Dimension wird das orthodoxe Mönchtum zur geistigen Macht.

Die regelmäßige Übung des bekannten Jesusgebetes „Herr Jesu Christe, Du Sohn Gottes, erbarme Dich meiner“ ist ein zentrales Übungsmoment auf diesem Weg, eingebettet in den geheiligten Lebenszusammenhang und im gemeinsamen liturgischen Gottesdienst der Kirche.

Der mystische Weg kann in keiner Weise auf besondere Lehren und Systeme, weder auf irgendeine Ideologie noch auf diese oder jene „Technik“ zurückgeführt werden. Er ist vielmehr einzig und allein in der rechten Art und Weise des sich in Gott selbst erkennenden Lebens verborgen. Der Weg ist die sich entfaltende mystische Erfahrung des Seins – das Leben der Heiligung Abglanz und immerwährende zeitliche Verwirklichung der Fleischwerdung Gottes in Seinen Heiligen.

A und O des Weges sind Liebe und Wahrheit. Liebe und Wahrheit sind die höchsten Werte des Christentums; ohne sie ist Spiritualität und Askese hohl und widergöttlich. Denn Liebe und Wahrheit sind nicht nur zeitliche ethische, religiöse Werte, sondern ewige göttliche Urprinzipien, Gnadenkräfte oder Energien. Gott ist Liebe, wie Johannes der Evangelist sagt.

Die Verwirklichung von Liebe und Wahrheit setzt Selbsterkenntnis und Wandlung voraus. Sie vom Urbilde her zu leben, erfordert einen langjährigen Prozeß des Hineinwachsens in eine entsprechende Lebenshaltung und des Erwachens zu geistigem Bewußtsein. Wenn Christus vom „Wachen“ spricht, ist immer diese weiterreichende Dimension angesprochen. Liebe als moralische Forderung ist zum Scheitern verurteilt. Liebe als ontologische Teilhabe am Wesen Gottes aber ist Frucht der Wandlung. Als solche hat sie allüberwindende Kraft.

Mönchische Askese ist im Kern: Übung des Herzens. Licht und Finsternis wollen wahrgenommen und ausgehalten werden. Alles Falsche abstreifen, Unvollkommenes wandeln und immer wieder zum Eigentlichen vorstoßen, sich von Rückschlägen und Scheitern nicht beirren lassen, das ist Herzensübung. So reift die mönchische Gestalt.

Der Spiegel des Göttlichen liegt verborgen in den Abgründen des Herzens.

Das Herz ist der Sitz des Geistes, der geistigen Wahrnehmung. Das darf weder mit dem äußeren Intellekt verwechselt werden, noch mit dem Gefühlsbereich. Denkkraft und Gefühl sind wichtige Funktionen des fleischlichen Menschen. Der Geist aber, von welchem hier die Rede ist, griechisch „vous“, gehört nicht zur irdischen, sterblichen, sondern zu unserer geistigen, unsterblichen, ewigen Natur. Der Geist, von dem wir sprechen, ist Odem aus Gott (vgl. Genesis I). Ihn haben wir mit den Engeln gemein, durch ihn gewahren wir geistige Wirklichkeiten, durch ihn beten wir, durch ihn verkehren wir mit Gott und den Heiligen in der Ewigkeit und in der Zeit.

Hiervon zu unterscheiden ist das Bewußtsein. Bewußtsein ist, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt wissen. Daher ist das Bewußtsein keine Fähigkeit, keine ontologische, sondern eine bedingte, zusammengesetzte, flüchtige Größe, die sowohl von geistigen wie von fleischlichen, körperlichen, emotionalen und gedanklichen Einflüssen gebildet, gefördert oder beeinträchtigt wird. Es ist das Wahrnehmen, Verstehen und Wissen selbst – nicht aber das Wahrnehmende, und auch nicht das Wahrgenommene. Je nachdem, ob es in bestimmten Gedanken, oder in Gefühlen, oder aber im Geist ankert, also jenachdem von woher es gebildet wird, erfährt der Mensch eine andere Wahrnehmung (sowie Selbstwahrnehmung). Deshalb gehört es wesentlich zum geistigen Weg, das Bewußtsein auf den Geist hin auszurichten und dann von dort aus alle anderen Bereiche des Seins zu durchlichten.

In der Praxis sind diese Zusammenhänge seit Jahrtausenden bekannt, zumindest in den lebendigen Überlieferungen. Wer sich dem Mysterium Gottes nähert, muß alle äußeren Gedanken und Vorstellungen loslassen und hemmende Gefühlsabhängigkeit und -neigungen überwinden. Nicht weil Gedanken oder Gefühle an sich schlecht oder verboten wären, sondern um an die tieferen, feineren, geistigen Wahrnehmungen zu gelangen. Ein asketisch gereinigtes Gemüt und ein zur Ruhe gekommener Verstand stört die geistige Wahrnehmung nicht mehr, sondern wird sogar zum guten Werkzeug des Geistes. Denn wo der Geist erwacht ist, ändern sich auch Gefühle, Gedanken und Bewußtsein.

Reinheit und Gnade

Wo wir Eitelkeit, Egozentrizität, Heuchelei und Frömmelei überwinden, und ebenso die Nichtigkeit rationaler Konzepte und Konstruktionen begreifen, gewinnen wir innere Freiheit. Durch Achtsamkeit, Gehorsam und Liebe entwickelt sich geistige Wahrnehmung und Kraft. Wo der Übende seinen Geist und seine geistige Empfänglichkeit verfeinert, gewinnt er die in der Welt der Fälschungen verlorene ursprüngliche Reinheit des Herzens zurück. In dieser Reinheit empfangen wir die göttliche Gnade.

Die Gnade Gottes kommt dem menschlichen Mühen entgegen. Die rechte Askese öffnet uns zur Empfängnis der Gnade, indem sie uns reinigt und unseren Geist zur Fruchtbarkeit führt. Wo die Sinne des Menschen geläutert und die Liebe durch Hingabe und Prüfungen stark geworden ist, strömt die Gnade und Kraft des Heiligen Geistes machtvoll ins Herz. Dort wohnt sie unserem Geiste ein, stillt sein Begehren und vertreibt seine Blindheit durch die heilige Erleuchtung. So bringt sie uns zur Blüte geistiger Klarheit.

Die Erfahrung der Gnade überschreitet jeden Begriff. Die Erleuchtung wird als Empfang des Taborlichtes beschrieben, jenes überirdischen, göttlichen Lichtes, welches auch die Apostel Johannes, Petrus und Jakobus auf dem Berge Tabor sahen. Die Gnade kann sich aber auch still und mählich ins Herz eingießen und sich eher mittelbar äußern. In jedem Fall aber verändert sie den Menschen, macht ihn anders; weit, licht und schön.

Über die Reinheit schreibt der heilige Gregor Palamas : „Reinheit ist ein Zustand, in dem über dem Geist zur Zeit des Gebetes das Licht der heiligen Dreifaltigkeit leuchtet, und in diesem Zustande gelangt der Geist noch über das, was man gemeinhin unter Gebet versteht, hinaus. Ja, man kann dies kaum noch Gebet (im üblichen Sinne) nennen, sondern eher eine Frucht des reinen Gebetes, welches stets vom Heiligen Geist eingezeugt ist. Der Geist betet dann nicht mehr in (äußerlichem) Gebet, sondern gelangt über sich hinaus („in Ekstase“) zu den nicht mehr faßbaren Dingen. Dies ist jene heilige Unwissenheit, welche höher ist als alles Wissen. In einem gereinigten Herzen steht der Geist ungestalt, vorgestaltig, ohne Anspruch und Vorstellung, vor Gott und vermag so die unmittelbaren Einprägungen der göttlichen Urbilder zu empfangen, deren Spiegel er wird“.

Reinheit wird hier als der höchste Zustand geistigen Betens verstanden. Die Schau der Urbilder ist die Einsicht in die göttlichen Gedanken. An anderer Stelle ist von der Schau des Taborlichtes die Rede, vom ungeschaffenen Licht, den göttlichen Energien. Der Geist des Menschen wird zum Spiegel der göttlichen Gedanken, die ihm „eingeprägt“ werden. Wiederum wird hier eine ontologische Wandlung aufgezeigt, ein Vorgang, der das Sein des Menschen verändert und ihn selbst zum Träger göttlicher Kräfte und Wirkungen macht.

Reinheit ist auch eine Haltung der Seele, ja des ganzen Lebens. Reinheit in den menschlichen Beziehungen, Reinheit in der Hingabe, in der Liebe. Nun ist es nicht etwa so, daß einer zuerst die Reinheit in allen Bereichen des Lebens erlangt haben müßte, um zum reinen Gebet zu gelangen. Dieses ist Gnade wie jenes. Umgekehrt kann auch die Übung des reinen Gebetes nach und nach alle anderen Lebensbereiche durchlichten und den Übenden zur Reinheit führen. Es geht aber immer um die Herzensreinheit. Das Herz wird zum eucharistischen Kelch, zum Heiligen Gral, zum Gefäß des göttlichen Lebens. Es muß rein und klar sein, ehe das göttliche Wort dort Wohnung nehmen kann. In der mystischen Begegnung und Vereinigung dieser beiden wird der tiefste Punkt des Herzens zum Spiegel Gottes. Ich sage dann: die göttliche Weisheit erkennt und gebiert das Ewige Wort, und beide sind zugleich eins und unvermischt und vollkommen, denn da ist kein Gedanke mehr. Das ist Reinheit.

Ein entscheidender Schlüssel zur Reinheit ist die Hingabe – das Opfer, welches in Freiheit und aus Liebe und um der Liebe willen dargebracht wird. Wir geben, was vergänglich ist, und empfangen, was unvergänglich ist.

Der göttliche Eros

Die einzige Kraft, die ein solches Opfer in Wahrheit ermöglicht, ist der göttliche Eros. Mit diesem auf den ersten Blick unerwarteten Begriff bezeichnet die heilige Überlieferung jene reine Kraft göttlicher Liebe, die das All und die ganze Schöpfung hervorgebracht hat, jene göttliche Urkraft, aus der alles Seiende lebt, welche mit dem Oden von Gott (Gen. I.) auch in uns gelegt ist, und die uns zur Erkenntnis der Wahrheit führt. Es ist die allumfassende Liebe des urewigen Gottes selbst, von dem alles irdische Lieben, Streben und Wohlwollen nur ein schwacher Abglanz ist. Im Evangelium und in den Göttlichen Namen des hl. Dionysios wird diese Kraft einfach „Liebe“ genannt. Wie dem auch sei; der Göttliche Eros entzündet ein heiliges Begehren, er öffnet das geistige Auge, führt zur Erkenntnis der eigentlichen, höchstmöglichen Wesensgestalt und entfaltet unsere Lebenswirklichkeit zum göttlichen Urbild hin. Zwischen den Menschen erzeugt er eine lautere Herzensneigung, in welcher nichts Unreines, keine Angst und kein egoistisches Wollen ist. Die in jedem Menschen angelegte und so oft verletzte oder gar zerstörte Sehnsucht nach Liebe und Wahrheit ist Abbild und Nachhall dieses höchsten Strebens. Keine irdische Liebe vermag diese Sehnsucht zu erfüllen, die sich nicht selbstlos jenem höchsten Urbild und Ursprung ihrer selbst fügt.

Gott drängt sich nicht auf, aber er kennt unsere Sehnsucht. Er selber hat die Sehnsucht in unser Herz gelegt, damit wir Ihn suchen und die Kraft erhalten, um dieser Suche willen anderes zu lassen. Das Niedere weicht so dem Höheren, ohne daß das Niedere verurteilt oder verneint würde; es fällt ab wie eine abgestorbene Haut, weil etwas Neues, Höheres kommt und unser Liebesstreben auf sich zieht. Das Vorläufige, Uneigentliche, weicht dem Eigentlichen; das Abbild wird von der Kraft des Urbildes aufgesogen.

In der Welt wird unsere Sehnsucht zumeist durch die Fälschungen des Lebens auf ungeeignete, uneigentliche Ziele abgelenkt. Wir werden um das Eigentliche betrogen und am Empfang der Gnade gehindert, indem man uns mit Substituten und Fälschungen überhäuft. Unsere eigenen, unausgegorenen Gefühle und Gedanken machen uns zusätzlich anfällig für solchen Trug.

Die Quelle aller Sehnsucht ist zugleich die Quelle aller Erfüllung. Aus dem göttlichen Eros, der schöpferischen Liebe Gottes, entspringt alle Lebenskraft, alles Schöpfertum, alle echte Liebe und Freundschaft. Jedes edle, reine Streben des Menschen ist Bild und Spiegel des göttlichen Eros. So hat uns Gott erkannt, so will Er von uns erkannt werden, daß auch wir einander in Wahrheit erkennen.

Das Mönchtum ist vielleicht nicht die einzige, aber auf jeden Fall die äußerste und unbedingteste Antwort eines Menschen auf die göttliche Liebe. Hier trifft das Begehren des Menschen mit dem Begehren Gottes vollkommen zusammen. Wirkliches Mönchtum, welches im Kern immer Gestaltwerdung der göttlichen Liebe ist, widersteht jeglicher Engigkeit des Geistes und der Anschauung. Aus diesem Grunde ist auch eine Gemeinschaft von Gelehrten, Theologen oder Priestern noch kein Kloster, keine Heilige Gefolgschaft in unserem Sinne. Die Heilige Gefolgschaft ist ein heiliger Bund gottgeweihter Mystiker und solcher, die auf dem Wege dahin sind, die das wahre Leben begehren. Sein Telos ist die Vollendung der Liebe.

Das Gebet im Kloster

Das liturgische Gebet wird von allen Mönchen gemeinsam im Tempel gehalten. Es sind die altüberlieferten Liturgien des klösterlichen Tagzeitengebetes: Vesper, Komplet, Mitternachtsgebet, Orthros, die kleinen Stunden, sowie die göttliche Liturgie. Dazu kommen besondere Dienste an den kirchlichen Hochfesten und gemäß der örtlichen Überlieferung des Klosters, als da wären: Wasserweihen, Segnungen des Landes, des Hauses und der Gärten. Die liturgischen Gottesdienste der orthodoxen Kirche sind uralt. Sie gehen zum Teil auf die Gottesdienste des jüdischen Tempels und der Synagoge zurück, denen christliche Stücke hinzugefügt wurden wie z.B. die Vesper; auch antike Mysterienerfahrung ist eingeflossen. Die letzte Redaktion der göttlichen Liturgie nahm um 400 n. Chr. der heilige Kirchenvater Johannes Goldmund (Chrysostomos) vor. Hier zeigt sich besonders der liturgische Konservativismus der Orthodoxie. Der Gottesdienst ist Bild und Mitvollzug des himmlischen Gottesdienstes, den die höchsten Engel unablässig am Throne Gottes darbringen.

Unabhängig von den liturgischen Diensten übt jeder Mönch persönlich das geistige Gebet. In den Stunden der Stille, auf die im Kloster großer Wert gelegt wird, in der Mittagszeit, am Abend und am frühen Morgen, hat der einzelne Mönch hierfür Zeit und Raum. Insgesamt geht es darum, das Wort des Apostels zu erfüllen, wo er sagt : „Betet ohne Unterlaß“. Die Zeiten zwischen den liturgischen Diensten werden mit Herzensgebet gefüllt: „Herr Jesu Christe, Du Sohn Gottes, erbarme Dich meiner“. Je nach der geistlichen Stufe, die der Mönch hinsichtlich der Reinheit, der Treue und der Tugenden erlangt hat, setzt sich dieses Gebet sogar im Schlaf fort, und selbstverständlich wird es während der Arbeit und zu jeder Zeit gebetet. Es gibt besondere Übungen zur Vertiefung und Verankerung des Gebetes, dessen Ziel es ist, reines geistiges Beten zu werden. Auf dieser Stufe durchdringt das Gebet jegliche Tätigkeit des Mönches und es durchdringt und erhebt auch das liturgische Gebet der Gemeinschaft auf die Stufe geistiger Anbetung im eigentlich mystischen Sinne.

In diesem Zusammenhang sind auch die geistlichen Lesungen und Unterweisungen zu nennen. Gebet ist Verbindung mit dem Ewigen Wort, dem fleischgewordenen Gott. Wo es geistiges Gebet wird, führt es zur gnadenhaften Schau der Urbilder, zur Empfängnis der göttlichen Gedanken, ja, des Ewigen Wortes selbst. So sind die heiligen Väter Träger des Ewigen Wortes geworden. Die Worte und Weisungen der Väter wiederum sind der Same desselben ewig unsagbaren Wortes, welches im Mönch Gestalt annehmen will. Die Werke des heiligen Basileios d. Gr., Gregor v. Nyssa und Gregor d. Theologen, des hl. Dionysios Areopagita, Johannes v. Damaskus, des hl. Johannes v. Sinai, Symeon d. neuen Theologen, die Philokalie, und viele andere Schriften stellen ebenso wie die geistlichen Unterweisungen des lebenden Altvaters eine geistige Nahrung und Befruchtung dar, aus der das Gebetsleben des Mönches inspiriert und vertieft wird. Durch das lebendige Wort wird der Mönch im Ewigen gezeugt. Es ist klar, daß es bei der lebendigen geistigen Unterweisung nicht allein um moralische Belehrung oder intellektuelle Wissensansammlung geht, sondern vielmehr um Erschließung und Verinnerlichung des Sinnes der heiligen Schriften. Die geistgetragene Unterweisung des Altvaters kann als geistige Kommunion beschrieben werden, die den Samen des göttlichen Wortes ins Herz des Bereiteten legt und ihn entfaltet.

Die Arbeit im Kloster

Jede Arbeit im Kloster ist gleichzeitig ein Übungsfeld und wird als heiliger Dienst und geistige Übung betrachtet. Dem geistigen Beten kommen vor allem gleichmäßige körperliche Tätigkeiten entgegen; doch hat jede Arbeit ihren eigenen asketischen Wert, nicht zuletzt die künstlerische. Die Arbeitsfelder im Kloster sind sehr vielseitig. An erster Stelle steht der liturgische Dienst. Die Gottesdienste werden durchgängig gesungen und rezitiert, was bei jedem Einzelnen eine gründliche Ausbildung in den entsprechenden Disziplinen voraussetzt. Aber Garten, Haushalt, Küche, Seelsorge an den Gläubigen und Gästen, Krankenpflege, Landschaftsbau, Ikonenmalerei, Aufbauarbeit, Übersetzungsarbeit sind ebenso wichtig.

Geistiges Leben erfordert Autonomie. Innere Autonomie entsteht durch Auflösung der Fesseln der Fleischlichkeit und geistiges Bewußtsein. Wesentliche Grundlage der äußeren Autonomie ist wirtschaftliche Unabhängigkeit. Jede Alimentierung führt über kurz oder lang in die geistige Abhängigkeit. Im Kloster können die Lebenshaltungskosten niedrig gehalten werden; aber desungeachtet ist kluges Wirtschaften notwendig. Aufbau und Erhaltung des Heiligtums samt Ausstattung und Betrieb des Tempels erfordern selbst bei spartanischer Grundhaltung die Beschaffung entsprechender Finanzmittel. Da wir heute in einer säkularistischen, tendenziell antichristlichen Gesellschaft leben, gibt es fast keine gesellschaftliche Unterstützung. Daher sind Tätigkeiten zum Broterwerb unerläßlich. Dabei ist streng darauf zu achten, was mit dem mönchischen Ethos vereinbar ist und was nicht; vor allem darf die geistige Grundausrichtung nicht durch die sogenannten Sachzwänge gefährdet werden. Das erfordert Phantasie und Tatkraft. Idealerweise arbeiten die Mönche nur innerhalb des Klosters. Weil sehr viel unbezahlte Arbeit geleistet wird, die wiederum der ganzen Gesellschaft zugute kommt, darf das Kloster Spenden annehmen.

Die Arbeiten im Kloster sind in so genannte „Dienste“ aufgegliedert. In kleineren Klöstern werden die Dienste vom Abt eingeteilt, in größeren Klöstern werden sie vom Altväterrat vergeben, gemäß den Notwendigkeiten der Gemeinschaft. Dabei werden die Fähigkeiten des Einzelnen berücksichtigt und gefördert, wobei immer auch geistliche Erwägungen eine Rolle spielen.

Im Folgenden sind die Verhältnisse in einem Großkloster, wie z.B. Megisti Lawra oder Watopädi auf dem Heiligen Berg Athos dargestellt. Grundlegend für die Gemeinschaft ist der Altvater. Als geistiger Vater der Mönche und Haupt der Gefolgschaft ist er zugleich Abt des Klosters. Ihm obliegt die Unterweisung der Novizen; wenn es deren viele gibt, setzt er auch andere Altväter (immer Mönche im großen S’chima) dafür ein. Ihm sind alle Väter in personaler Treue und Gehorsam verbunden. Seine Hauptaufgabe ist nach innen gerichtet; ihm obliegt die Obhut und geistige Führung der Väter. Daneben repräsentiert er die Gemeinschaft nach außen gegenüber staatlichen und anderen gesellschaftlichen Institutionen. Der Kämmerer (Epitrop) führt Verwaltung und Wirtschaft des Klosters und sorgt für die nötigen Einkäufe; daneben obliegt ihm die Sorge für Werkzeuge, Maschinen und Fahrzeuge, die Aufsicht über die Lagerhaltung der Lebensmittel, sowie über eventuelle Bau- und Renovierungsmaßnahmen. Der Sekretär führt die Korrespondenzen, stellt ggf. Urkunden aus, führt den aktuellen Terminplan und die Klosterchronik. Der Bibliothekar ordnet und pflegt die Bibliothek, er sorgt dafür, daß die notwendigen Bücher angeschafft, die vorhandenen sorgfältig katalogisiert und erhalten werden, und alle jederzeit benutzt werden können. Der Gärtner ist für den Klostergarten und die Obstwiesen verantwortlich, was für die Ernährungsgrundlage der Gemeinschaft sehr wichtig ist; ihm werden weitere Mönche als Gehilfen zur Seite gestellt. Manchmal gibt es einen eigenen Dienst für die Pflege der Außenanlagen des Heiligtumes, bis hin zum Heckenschneiden und zur Instandhaltung der Wege. Der Gastvater sorgt für Wäsche und Sauberkeit im Gästebereich, er empfängt und betreut die Gäste; Koch und Tafelmeister (Trapezaris) sorgen für die täglichen Mahlzeiten. Der Tafelmeister ist außerdem für Sauberkeit und Ordnung in Speiseraum und Küche verantwortlich. Priester und Diakone werden zum Wochendienst eingeteilt; dieser umfaßt die Durchführung der heiligen Dienste gemeinsam mit den Sängern und Lesern. Die Priester übernehmen auch seelsorgerliche Arbeit nach außen, wie z. B. Beichten und Gespräche mit geistigen Schülern und Pilgern; daneben haben sie meist noch andere Dienste. Der Ritualmeister (Typikaris) hat die Aufsicht über den Ablauf der Gottesdienste und die Auswahl der liturgischen Texte; er teilt aktuell Sänger und Leser ein. Der Ritualmeister unterrichtet die Novizen in Liturgik und Kirchengeschichte. Jeder Mönch ist grundsätzlich Sänger und Leser. Der Wochenlesedienst wird mit Priester- und Diakonsdienst eingeteilt. Grundsätzlich kann aber jeder Mönch jederzeit vom Ritualmeister in den Chor gerufen werden. Der Tempelobere (Ekklesiarch) sorgt für Kerzen und Öllampen im Tempel; er hat sie im Ablauf der Gottesdienste gemäß der heiligen Ordnung zu entzünden und zu löschen; er ist für die Reinigung, Pflege und Betriebsbereitschaft des Tempels insgesamt verantwortlich. Eine nicht zu unterschätzende Arbeit ist das Entfernen der Wachsflecken vom Kirchenfußboden und das Instandhalten der Leuchter. Da es in großen Klöstern neben dem Haupttempel (Katholikon) noch viele Nebenkirchen (Parekklesies) gibt, die alle in Betrieb gehalten werden müssen, gibt es mitunter mehrere Tempelobere, die für die weiteren Kulträume zuständig sind. Dem Tempeloberen werden weitere Mönche als Gehilfen zugeteilt, die Tempeldiener (Ekklesiasten), die sowohl praktische als auch liturgische Dienste im Tempel verrichten. Die Reinhaltung der Gemeinschaftsräume, Sanitäranlagen und Flure in der Klausur obliegt den Novizen und jüngeren Mönchen, aber grundsätzlich wird jeder mal zum Putzdienst eingeteilt. Die Mönchszelle muß ohnehin jeder selbst in Ordnung halten, dazu gibt es keinen besonderen Dienst. Der Hausmeister ist für alle kleineren Reparaturen an den Gebäuden und den Betrieb der Heizung zuständig, dazu gehört auch die Vorratshaltung für Brennholz und die Reinigung der Öfen im Sommer. Der Abteivater (Igumeniaris) ruft im Auftrag des Abtes Altväterrat (Synaxe) und sonstige Versammlungen der Mönche ein; er empfängt offizielle Besucher und dient im Synodikon bei Empfängen und geistlichen Unterweisungen. Ebenfalls in großen Klöstern gibt es eine Krankenstation mit Krankenvater, manchmal sogar Ärzte. Dazu kommen die Dienste in den Werkstätten. Orthodoxe Klöster haben meist eine Werkstatt für Ikonenmalerei oder Holzschnitzerei, eine Schneiderei zur Herstellung der Mönchskleidung und Imkerei – übrigens mehr zur Herstellung von Wachs als von Honig – und vielleicht eine Tischlerei.

Die Mönchsweihe

Gemäß der ursprünglichen orthodoxen Überlieferung ist die Mönchsweihe ein Sakrament, eine göttliche Gnadengabe, so wie Taufe, Priesterweihe oder Eucharistie. Es gibt nur ein Mysterium des Mönchtums, aber doch drei Weihestufen, die bestimmten Stufen in der Entfaltung der Heiligen Gestalt entsprechen.

1.) die Weihe des Heiligen Gewandes (Ράσοευχή),
2.) die Weihe der Kleinen Gestalt (Μικρόσχημα) und schließlich
3.) die Weihe der Großen Heiligen Engelgleichen Gestalt ().

Die Weihe des Heiligen Gewandes (Ράσοευχή) ist bereits eine vollgültige Mönchsweihe und sollte erst nach einer entsprechenden Probezeit gespendet werden. Sie setzt die ewigen Gelübde und mönchischen Lebenswandel voraus und wird im Zusammenhang einer Nachtwache vollzogen. Sie entspricht dem Stand des Lehrlings, der sich klar entschieden hat und mit Ernsthaftigkeit den Weg der Mönche geht, aber eben noch am Anfang steht. Es gibt Mönche, die ihr Leben lang in diesem Stand verbleiben und durch Gehorsam, Demut und selbstloses Dienen heilige Männer werden. Von Anfang an ist der Mönch als „Engel im Leibe“ und „Bote Gottes auf Erden“ in den es’chatologischen Kampf der geistigen Mächte, von dem der hl. Apostel Paulus spricht (Eph.VI, 12), gestellt. Das Gewand ist von starker symbolischer Bedeutung; in der biblischen Überlieferung steht es für die leibliche Seite des Menschen. In ihm drückt sich aber zugleich seine geistige Haltung aus, mehr noch, es zeigt in der Verhüllung das Wesen.

Die Weihe der Kleinen Gestalt (Μικρόσχημα) ist die zweite Stufe. Das Weiheritual ist umfangreicher und in die göttliche Liturgie eingebettet. Der Mönch erhält nun zusätzlich zum Heiligen Gewand den Brustschild (Pallium). Damit wird er als geistiger Krieger ausgezeichnet; sein Brustschild trägt als Wappen und Siegeszeichen das Kreuz Jesu Christi. Diese Weihe läßt das Urbild schärfer hervortreten und sollte nur dem gespendet werden, der solche Schärfe auch aushält und ausstrahlt. Ein Mönch der Kleinen Gestalt muß wesentliche Bereiche des Klosterlebens eigenständig aufrechterhalten und in der heiligen Überlieferung gefestigt sein – wie im alten Handwerk ein guter Geselle sein Handwerk versteht und eigenständig zu arbeiten im Stande ist.

Schließlich die Weihe der Großen Heiligen Engelgleichen Gestalt (), wie es vollständig heißt, markiert die Meisterschaft. Sie bildet die höchste Weihestufe. Der Mönch erhält den vollständigen Harnisch, das große Pallium, welches wie ein Priesterschal getragen wird, und auf dem weitere heilige Zeichen angebracht sind, sowie das Kreuzband (Polystaurion). Diese Weihe wird nur erfahrenen Mönchen gegeben, die ganz und gar in der heiligen Überlieferung zuhause und im Stande sind, andere Mönche anzuleiten und auszubilden. Gemäß der alten Überlieferung kann nur ein Mönch im großen S’chima andere Mönche weihen und führen. Alle Altväter und Äbte des Heiligen Berges Athos besitzen diese Weihe, und ohne diese Weihe (und d. h. natürlich auch die dabei vorausgesetzte geistige Wirklichkeit, Unterscheidung und Erfahrung) kann niemand andere Mönche führen. So wird vermieden, daß das Mönchtum zu abstrakter Ideologie und äußerlicher Regelbefolgung erstarrt. Und es wird gewährleistet, daß die altüberlieferten Formen vom lebendigen Geist erfüllt und getragen sind, daß der eigentliche ursprüngliche Charakter des Mönchtums als Mysterium und Weg der Vergottung bewahrt und weitergetragen wird. Nur wo diese ganze Weite und Tiefe der heiligen Überlieferung wirklich lebt und gegeben ist, kann man mit Fug vom „ewigen Gnadenstrom“ sprechen.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß der Begriff „Laienmönch“ in der Orthodoxie völlig unangebracht ist. Die Unterscheidung zwischen „Vätern“ (Patres) und „Brüdern“ (Fratres), also zwischen den gelehrten Priestermönchen und den ungebildeten Arbeitermönchen, ist eine Sondertradition des lateinischen Westens aus der Zeit des Feudalismus, und hat in der Orthodoxie niemals Gültigkeit gehabt. Bedenkt man allein das Gewicht des Ganzopfers des Lebens, welches grundsätzlich jeder Mönch darbringt, wird klar, wie problematisch und letztlich diskriminierend solche Unterscheidungen von der Sache her sind. Auf dem Heiligen Berg gibt es viele heilige Altväter, die aus mönchischem Ethos heraus niemals eine Priesterweihe angenommen haben; gleichwohl sind sie geistige Väter und Führer vieler Mönche und Priester, ja von Bischöfen und Patriarchen. Jeder orthodoxe Mönch, der nach einer entsprechenden Lehr- und Probezeit von seinem Altvater die Mönchsweihe empfangen hat, wird daher als „ehrwürdiger Vater“ angesprochen. Priester- und Diakonatsweihen empfangen nur so viele Mönche, wie zur Durchführung der liturgischen Dienste tatsächlich erforderlich sind. Der Rang im Klerus hat auch keinen Einfluß auf den Rang innerhalb des Klosters.

Es ist klar, daß in kleineren Gemeinschaften mehrere Dienste zusammengelegt werden. Je kleiner das Kloster, umso umfangreicher ist das Tätigkeitsfeld des Einzelnen.

Interne Strukturen eines orthodoxen Klosters

Als Altvater der Mönche ist der Abt das Haupt der Klostergemeinschaft. Er wird von den Mönchen des Klosters auf Lebenszeit gewählt. Die Äbte der größeren Klöster, vor allem der stauropegialen, patriarchalen und kaiserlichen Erzabteien, sind immer zugleich Priester und bekommen den Titel „Archimandrit“ verliehen; damit nehmen sie im kirchlichen Klerus den höchsten Stand nach den Bischöfen ein; hinsichtlich der Jurisdiktionsrechte sind sie klosterintern den Bischöfen gleichgestellt, obwohl sie natürlich keine Priesterweihen vornehmen können. Doch gibt es auch Klöster, die keine derartige Selbständigkeit besitzen; das hängt sehr vom Klosterstatut und örtlichen Gegebenheiten ab. Auf dem Heiligen Berg Athos erfreuen sich selbst die kleineren Klöster, also Kellien und Einsiedeleien, einer archaischen Autonomie, die vom jeweiligen Großkloster gewährleistet wird. Der Vorsteher einer solchen Gemeinschaft ist oft nicht einmal Priester, und manch einer will es auch nicht werden. Unerläßlich ist es aber, daß er die Weihe des großen S‘chima hat und tatsächlich Altvater der Mönche ist. Manche wollen darin eine Antinomie zwischen bischöflichem Weltklerus und Mönchtum sehen. Auch gab und gibt es hier und da Konflikte und Übergriffe; doch widerspricht derartiges sowohl dem mönchischen als auch dem bischöflichen Ethos der Orthodoxie.

Der Ältestenrat, die so genannte Synaxe, besteht aus allen Vätern im großen S’chima; wenn es viele Mönche der Großen Gestalt gibt, ist es eine Auswahl der ältesten und erfahrendsten unter ihnen. Diese sind mitunter auch Priester, aber nicht notwendigerweise. Die Altväter dienen, neben dem Abte und in seinem Auftrag, als geistige Väter für jüngere Mönche und auch nach außen, also für die geistigen Schüler des Klosters und Pilger. Der Ältestenrat ist außerdem Beratungsgremium und internes geistliches Gericht.

Die Bruderschaft als Ganzes (Konvent) ist die Gemeinschaft aller Mönche des Klosters; sie ist der eigentliche Rechtsträger des Klosters und Eigentümer des Klosterbesitzes. Den Vorsitz hat immer der Abt inne.

Die Epitropie ist die Klosterverwaltung. Epitrop, auf deutsch: Kämmerer, ist ein vom Abt beauftragter Mönch, der die entsprechenden betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten besitzt.